Motorola Q9h
(24.08.2007 00:00 CET)
Motorola und die Windows Mobile-Welt haben eine wechselhafte Beziehung: Mit dem MPx200 hatte der Traditionshersteller eines der ersten Smartphones mit Microsofts mobilem Betriebssystem im Programm, und das zu einer Zeit, als Windows Mobile für diese Geräte noch sehr unüblich war. Die Hoffnungen waren groß, als gleich drei Nachfolger angekündigt wurden: Das MPx100 als Candybar (normales, nicht klappbares Design), das MPx220 als Clamshell und als Pocket PC Phone Edition das vertikal wie horizontal aufklappbare MPx. Von diesen drei Geräten wurde dann das MPx100 sehr schnell nach Ankündigung und vor dem Erscheinen abgekündigt, das MPx kam nur im asiatischen Raum in geringen Stückzahlen auf den Markt, einzig das MPx220 war in Deutschland zu bekommen... und bekam teils verheerende Kritiken.
Ein Ausstieg von Motorola aus dem anfänglich noch so hoch geschätzten Windows Mobile-Markt schien unausweichlich, da wurde plötzlich vor ca. drei Jahren das Motorola Q angekündigt: Ein ultraflaches Smarthone mit Querformat-Display und einer integrierten Tastatur, das vor allem durch sein edles Metallfinish in Kombination mit der bei Motorola auf allen Plattformen verwendeten blauen Tasten- und Applikationsbeleuchtung Hoffnungen auf ein begehrenswertes Gerät erweckte.
Auch hier wurde der deutsche Markt recht schnell ernüchtert: Das Q gab es nur als CDMA-Version und auf einen US-Netzbetreiber ausgelegt, damit konnte es in Europa (mit seinen GPRS-Netzwerken) nicht genutzt werden.
Als dann das Motorola Q9 angekündigt wurde, war die Begeisterung eher verhalten. Zum einen war der Glaube an einen tatsächlichen Marktstart in Deutschland recht gering, zum anderen kam relativ schnell die Nachricht, das Q9 würde in Europa als Q9h veröffentlich werden und in dieser Variante kein WLAN haben.
Dieser eher enttäuschende Eindruck setzte sich fort, als ich im Mai 2007 kurzfristig ein (eigentlich) funktionsfähiges Muster in den Händen hielt. Alleine die Tatsache, dass dieses sich bei der Einrichtung der Verbindung zu meinen Exchange komplett verabschiedete und nur noch eine Endlosschleife von Softresets und Hängern produzierte, ließ mich davon Abstand nehmen, einen nicht sonderlich wohlwollenden Testbericht zu schreiben.
Zwei Monate später bin ich jetzt im Besitz der deutschen Verkaufsversion des Motorola Q9h und habe eine gute Woche kein anderes Gerät mehr verwendet.
Als Summe der Erfahrungen bleibt ein vollkommen unbestimmtes Gefühl zurück, das weder wirklich begeistert noch rasend enttäuscht ist, so bleibt nur eine Abwägung der Vor- und Nachteile und die Erkenntnis, dass es Geräte gibt, die sich schwer erschließen und trotzdem reizvoll sind.
Der erste Eindruck des Q9h ist , wenn man den Vergleich mit dem ursprünglichen Q ziehen kann, ernüchternd. Das edle Metallfinish ist reinem Plastik gewichen, alleine das Steucherkreuz und das Motorola-Emblem sind im Metall-Look. Die Tasten zwischen dem Display und der Tastatur sehen zwar aus wie berührungssensitiv, darunter verbergen sich aber normale Drucktasten.
Was die Designer sich allerdings dabei gedacht haben, die obere Displayabdeckung so zu konstruieren, dass ein Spalt von ca. einem Millimeter zum äußeren Gehäuse unabgedeckt bleibt, das weiß nur der Himmel: designmässig kann ich dem nichts abgewinnen, dafür sammelt sich wunderbar der Staub darin...
Die QWERTZ-Tastatur ist groß, und, wie später beschrieben, einer der großen Pluspunkte des Q9h.
Motorola hat sich im Verlauf der Modelle von Telefonen nicht auf eine einheitliche Norm des Lade- und Syncsteckers einigen können. Beim RZR und MPx200 waren es normale miniUSB-Stecker (zu einer Zeit, als diese noch eher unüblich waren), beim MPx220 fand ein proprietärer Pfostenstecker Verwendung... und beim Q9h ein vollkommen atypischer Ministecker. Was auf den ersten Blick wie miniUSB aussieht, entpuppt sich beim Vergleich als flacher und breiter als der momentane Standard... und macht die Verwendung von Standardzubehör für Windows Mobile-Geräte unmöglich.
Auf der rechten Seite befindet sich eine Kombination von Tasten, die die Einhandbedienung des Q9h deutlich vereinfachen: Zwischen der Hoch- und der Runter-Taste (die sowohl für die Einstellung der Lautstärke bei einem Gespräch als auch zum Bewegen des Cursors durch Optionen verwendet wird) befindet sich eine OK-Taste. Unter diesem Block befindet sich eine Kopie der "Zurück"-Taste, die bei jedem Windows Mobile-Smartphone auf den vorangehenden Bildschirm wechselt. Mit diesen Tasten kann schnell durch die Menüs navigiert werden, ohne, dass man das Steuerkreuz oder eine andere Taste auf der Vorderseite verwenden muss.
Was ich beim Q9h schmerzlich vermisse, ist eine LED, die den Netzempfang und den Zustand des Bluetooth-Senders anzeigt. Man ist so gewöhnt daran, gerade in schlecht versorgten Gebieten immer mal wieder anhand dieser LED den Empfang zu kontrollieren, verpasste Anrufe oder neue Nachrichten daran zu erkennen, dass der Verzicht darauf unangenehm ist.
Auch wenn es so aussieht, als würde sich oben rechts auf der Front des Geräts eine LED befinden, so ist dies eine optische Täuschung: Der kleine runde Fleck ist ein Helligkeitssensor für das Umgebungslicht. Diese Funktion ist nicht neu, aber Motorola nutzt sie weit besser als andere Hersteller: Nicht nur die Tastaturbeleuchtung wird nur bei Bedarf eingeschaltet, sondern auch die Stärke der Hintergrundbeleuchtung wird automatisch dem Umgebungslicht angepasst. Für viele Pocket PC-Benutzer ist beim Umstieg auf ein Windows Mobile Smartphone vollkommen unverständlich, dass es keine Einstellung für die Helligkeit der Displaybeleuchtung gibt. Das Q9h macht dies fast stufenlos automatisch, je dunkler es ist, desto mehr wird die Beleuchtung gedimmt. Dies führt dazu, dass das Display in wirklich jeder Situation hervorragend lesbar ist: Ob es im grellsten Sonnenschein oder in der Dämmerung oder Dunkelheit ist: Das QVGA-Display mit einer Auflösung von 320*240Punkten ist scharf, klar und gut lesbar.
Kommen wir zur Tastatur: Jeder Anwender muss sich entscheiden, ob er unterwegs viele Nachrichten oder Texte schreibt und dafür in Kauf nimmt, diesen Platz im Gerät zu belegen. Als Dauermailer habe ich persönlich immer gerne eine Tastatur verfügbar, und dadurch unterschiedlichste Geräte ausprobiert. Wenige haben eine solch hervorragende Tastatur wie das Q9h! Für eine Daumentastatur benötigt man erstaunlich wenig Eingewöhnungszeit, und die Tippgeschwindigkeit ist sehr schnell sehr hoch, ohne dass die Fehlerhäufigkeit durch Treffen von mehreren Tasten gleichzeitig zunimmt. Die Tasten sind so abgerundet, dass sie sehr gut "blind" zu fühlen sind, und ihr Druckpunkt ist so deutlich spürbar, dass man ein echtes Feedback hat.
Unverständnis macht sich allerdings auch hier breit: die Tastatur hat selbst keine echte Backspace-Taste, zum löschen eines versehentlich eingegebenen Zeichens muss die neben dem Steuerkreuz liegende "Zurück"-Taste verwendet werden. Ebenso befindet sich nur rechts eine Umschalttaste, mit der zwischen Groß- und Kleinbuchstaben gewechselt werden kann, links (wo man sie vermuten würde) befindet sich nur die Umschalttaste für Sonderzeichen.
Dafür sind links und rechts der Leertaste Direkttasten für den Kalender, die Kontakte, den Mediaplayer, die Kamera und die Sprachwahl vorhanden... dafür auf der linken Seite des Geräts, wo sich die letzteren beiden bei anderen Geräten meist befinden, gar keine. Motorola hat sich hier entschieden, von der Norm abzuweichen, und auch wenn dies mit ein wenig Gewöhnung kein großes Problem darstellt, so ist es doch etwas, was den ersten Eindruck empfindlich stört.
Dieses mittlerweile häufiger beschriebene Spannungsverhältnis zwischen Innovation und Nachlässigkeit zeigt sich auch in der oben schon kurz angedeuteten Sprachbedienbarkeit des Q9h: Im Gegensatz zu vielen anderen Geräten beschränkt diese sich nicht auf den Vergleich gesprochener Worte zu bereits gelernten (beispielsweise bei der Wahl von Rufnummern), sondern bietet eine komplette Bedienbarkeit des Geräts ohne vorheriges Training.
Ein längerer Druck auf die Kurzwahltaste für die Sprachaktivierung erlaubt es nach einem Signalton, verschiedene Optionen zu nutzen: "Wähle", "Sende SMS", "Sende Email", "Suche" mit nachfolgendem Namen führt die entsprechende Aktion aus. "Wähle Andreas Erle privat" wählt also beispielsweise meine Privatrufnummer. Wird der Name nicht 100%ig erkannt, so werden die in Frage kommenden Kontakte angezeigt und vorgelesen, auf hier kann wieder per Sprache ("Ja", "Nein", "Abbrechen") oder per Tasten die richtige Auswahl getroffen werden. In der Praxis funktioniert dies hervorragend, man darf nur nicht zu langsam und deutlich sprechen. Normale Sprachgeschwindigkeit und Betonung reichen völlig aus.
Leider funktioniert dies bei den Anwendungen (Sprachbefehl "Öffne") deutlich schlechter. Und gerade hier fehlt die Option, einen Sprachbefehl aufnehmen zu können. Die installierten Programme sind nur aktivierbar bzw. deaktivierbar, die Aussprache aber ist weder veränderbar noch kann man sich die erwartete Betonung anhören. Ich kann sagen was ich will, bei "Öffne Code Wallet" öffnen sich immer die Kontakte, auch ActiveSync ist nicht ganz so einfach (erst wenn man eine Pause zwischen Active und Sync lässt, geht es).
Diese Funktionalität ist für die tägliche Anwendung eine absolute Bereicherung, nur hätte man mit wenig Aufwand mehr herausholen und den Frustfaktor verringern können.
Im Drahtlosbereich überwiegen zunächst die positiven Erfahrungen: Das Q9h ist das erste Windows Mobile Smartphone, das sowohl eine Tastatur als auch UMTS und HSDPA hat und damit eine sehr schnelle Datenübertragung erlaubt. Zusammen mit dem vorinstallierten Opera-Browser und dem 320*240-Display macht das Internet-Surfen trotz des einschränkten Anzeigebereiches sogar richtig Spaß, so schnell werden die Seiten angezeigt. Nutzt man das Q9h zusammen mit einem PC als Modem, dann ist der Unterschied zu einer Standard-DSL-Leitung bei entsprechender Netzversorgung mit HSDPA kaum mehr spürbar.
Allerdings hat Motorola hier ins System eingegriffen: Mittlerweile ist es Standard, dass die mobilen Geräte eine Option "Internet-Freigabe" haben, und über das USB-Kabel als Netzwerkadapter funktionieren. Das heisst, dass auf einem PC keine extra Internet-Verbindung eingerichtet werden muss, wie es früher war, sondern das Windows des PCs direkt über das mobile Gerät wie über einen Router ins Internet geht. Dies fehlt dem Q9h: Erst nach der Installation eines Modemtreibers von der beiliegenden CD kann das Smartphone durch Einrichtung einer Wählverbindung am PC genutzt werden. Der Nachteil: für das eigene Notebook macht es in der Anwendung keinen großen Unterschied, bei Nutzung auf einem Fremd-PC allerdings ist der Aufwand deutlich höher.
Auch der Bluetooth-Sender funktioniert klaglos und kommuniziert mit GPS-Empfängern, Freisprecheinrichtungen, PCs, etc. Auch das A2DP-Profil, mittels dessen MP3-Dateien kabellos gestreamed werden können, funktioniert gut.
Ärgerlich allerdings, dass im Q9h kein WLAN-Sender verbaut ist, obwohl die Spezifikationen des Q9 diesen enthalten. Die Diskussion um die Notwendigkeit von WLAN in einem Smartphone haben wir oft genug geführt, aber unabhängig davon drängt sich der Eindruck auf, dass bestimmte Carrier mal wieder Druck auf den Hersteller gemacht haben, damit dieses Feature außen vor bleibt und der Käufer gezwungen wird, UMTS/GPRS zu nutzen. Schade!
Eine der großen Stärken des Q9h ist der riesige interne Speicher. Ganze 150 MB Daten- und 64MB Programmspeicher stehen dem Benutzer zur Verfügung, und damit gehören alle Sorgen über Platzmangel der Vergangenheit an!
Hätte man den Akku ebenso dimensioniert, dann würde dem Vielnutzer einiges an Frust erspart bleiben. Der beiliegende Motorola BT60-Akku hält zwar im Standby-Betrieb mit moderater Nutzung des Geräts knappe zwei Tage, wehe aber, man telefoniert mal ein wenig mehr oder nutzt das Gerät beispielsweise, um intensiv Mails zu schreiben, etc. Dann schrumpft die Lebensdauer schnell unter einen Arbeitstag, wo andere Geräte locker anderthalb bis zwei durchhalten. Dies ändert sich auch nach mehreren Ladezyklen nicht deutlich. Die Anschaffung eines Zweitakkus macht also Sinn, wenn man das Gerät nicht nur nutzt, um erreichbar zu sein.
Und ein definitiver Designfehler: Der Akkudeckel sitzt zu locker, der Verriegelungsmechanismus ist zu schwach. Ich habe schon zweimal nach dem Herausziehen des Telefons aus der Hosentasche mit Schrecken nach dem Akkudeckel gesucht... und durch das leichte Plastik hört man es kaum, wenn er auf den Boden fällt...
Preis:
EUR 459,-bei handit.deFazit:
Alles in allem hinterlässt das Motorola Q9h einen zwiespältigen Eindruck. Betrachtet man die Features und die Macken, dann kann es eigentlich nicht wirklich zufrieden stellen: Ein schwacher Akku, die teilweise nicht nachvollziehbaren Designmängel wie der Akkudeckel, der "Schlitz" oben am Display und die fehlenden Tasten der Tastatur sind nicht so einfach wegzudiskutieren. Und doch: ringt man sich dazu durch, dem Q9h eine Chance zu geben und es wirklich zu benutzen, dann kann man sich einem gewissen Reiz nicht entziehen: Die allgemeine Verarbeitung, die Flachheit des Gehäuses, die hervorragende Tastatur, das Display mit seiner Qualität und automatischen Helligkeitsregulierung, der riesige Speicher und die UMTS/HSDPA-Datenübertragung machen es trotz allem zu einem Gerät, das Spaß macht und die Produktivität unterwegs sichtlich steigert.Andere News, die Sie interessieren könnten:
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